Psychische Erkankungen
Borderline Persönlichkeitsstörung - Emotional Instabile Persönlichkeitsakzentuierung
Allgemeine Eingrenzung
Die Diagnose 'Borderline' ist zugleich eine der häufigsten im Bereich der Persönlichkeitsstörungen und eine der stigmatisierendsten. Letzteres rührt daher, dass Menschen mit dieser Diagnose für das psychiatrische System wie auch für viele (v.a. tiefenpsychologisch geprägte) Psychotherapeut*innen als unangenehm und wenig therapierbar galten. Dabei hat die Forschung gezeigt, dass mittels spezieller Therapieprogramme (z.B. Skillstraining, schematherapeutische Psychoedukation) gute Ergebnisse erzielt werden können und viele der diagnostizierten Menschen auch eine hohe Motivation an den Tag legen, sich mit der eigenen Erkrankung bzw. Entwicklung zu beschäftigen. Die Diagnose Borderline entspricht nicht nur einem klinisch-psychiatrischen Zeitgeist (es gibt auch in der Medizin gewisse 'Trends'), sie lässt sich auch mit veränderten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen in Verbindung bringen. Wir leben in einer unsicheren, schnelllebigen und zugleich stark auf individuelle Identitätssuche fokussierten Welt. Nicht erst mit den sozialen Medien, aber doch durch sie maßgeblich verstärkt, geht es darum, die eigene Identität in Szene zu setzen und hierfür Zuspruch zu erhalten. Dies triggert das Ego und erhöht den Druck auf den Einzelnen, gewissen Rollenmustern zu entsprechen, ist jedoch an sich noch nicht pathologisch. Allerdings kann es das unter bestimmten Sozialisationsbedingungen werden. Nämlich dann, wenn instabile oder gar traumatisierende soziale Bezüge mit ungünstigen individuellen Dispositionen korrellieren und sich vor dem Hintergrund der veränderten gesellschaftlichen Verhältnisse, die selbst Instabilität produzieren, entfalten.
Symptomatik (Krankheitsmerkmale)
Menschen, die im Borderline Spektrum verortet sind, weisen meist folgende Merkmale auf:
- Große Unsicherheit und starke Selbstwertprobleme, die im Alltag oft zurücktreten hinter einer proaktiven Suche nach starken Reizen und übermäßiger Selbstinszenierung
- Unsicherheit bezüglich der eigenen Identität (wer bin ich?), Suche nach haltgebenden identitären Bezügen, die allerdings rasch wechseln können
- Hohe emotionale Anspannung, die jedoch oft nicht unmittelbar wahrgenommen wird, sondern durch Selbstverletzungen und/oder Risiko-Verhalten kompensiert wird
- Emotionale Instabilität: schnell wechselnde und stark wahrgenommene Gefühlsregungen, die oft überwältigend sind. Daraus folgende impulsive Handlungen
- Bewertungen sind übermäßig dichotomisierend (es gibt nur gut oder böse), wobei zwischen Idealisierung und Abwertung rasch gewechselt werden kann
- Unfähigkeit, mit Kritik umzugehen und daraus resultierendes destruktives Konfliktverhalten - was für das Selbst nicht erträglich ist (Abwehr), wird auf das Gegenüber projiziert
- Schwierigkeiten, sich in das Gegenüber emotional hineinzuversetzen (Mentalisierungsfähigkeit) - Arbeit mit eigenen (unrealistischen) Bildern, die den Mitmenschen übergestülpt werden
- Desorganisiertes Bindungsverhalten: Beziehungen werden intensiv gelebt, können aber schwer längerfristig aufrecht erhalten werden. Einerseits kommt es oft zur Abwertung des*r Partner*in, andererseits besteht eine großen Angst, verlassen zu werden. Häufige Beziehungsabbrüche und/oder toxische Beziehungsverläufte sind die Regel
- Selbst-Enfremdung von Gefühlen und nicht integrierbaren Wahrnehmungen kommt häufig vor. Im schlimmsten Fall treten auch klinisch relevante Dissoziationen auf
Menschen mit Borderline zeichnen sich durch starke Probleme mit sich selbst und Schwierigkeiten in Beziehung zu anderen Menschen aus. Verschiedene Krankheitstheorien unterscheiden sich dahingehend welcher Aspekt in den Vordergrund gestellt wird. Aus Sicht der integrativen Therapie müssen beide Aspekte gleichermaßen berücksichtigt und die Genese der Symptome ergründet werden. Borderline Merkmale können als Bewältigungsmodi für frühere (meist kindliche) dysfunktionale Beziehungserfahrungen verstanden werden, die sich im Laufe der Zeit auf ungünstige Weise in die Persönlichkeit eingeschrieben haben und so das Selbst und die Ich-Funktionen tangieren. Die Gemeinsamkeit ist also im Entwicklungsprozess zu suchen, nicht in den Auslösern (meist Traumata) und auch nicht in der herausgelösten Symptomatik (letztere findet sich teils auch bei anderen Störungen). Dieser Entwicklungsprozess ist dabei dennoch hochindividuell, nur gewisse Verarbeitungsmuster gleichen sich. Es ist wichtig, darauf hinzuweisen, dass es sich um ein Spektrum handelt und mit dieser Diagnose sehr unterschiedliche Personen mit ganz verschiedenen Lebenswegen erfasst werden. Dies gilt auch für die (von außen wahrgenommene) 'Schwere' der Störung - am einen Ende des Spektrums wird sie von niemanden erkannt, die Menschen leben 'normal'; am anderen Ende finden wir Personen, die dauerhaft in engmaschiger psychiatrischer Betreuung leben müssen.
Therapieverlauf
Wie ganz generell in integrativer Therapie geht es bei Borderline darum, die bestehenden Ressourcen zu finden und auszubauen. Dazu eignen sich einsichtsorientierte (kognitive) Behandlungsmodi, welche bestehende Ressourcen verdeutlichen sowie das Ansetzen bei den expressiven Stärken, die viele Menschen mit Borderline-Diagnose aufweisen. Hierfür eignen sich z.B. kreative Medien. Zugleich ist das Arbeiten in und durch die therapeutische Beziehung eminent wichtig. Für die betroffenen Personen ist es zentral, positive Beziehungserfahrungen in dem (oft hoch aufgeladenen) Raum der Therapie zu machen. Der*die Therapeut*in ist dabei eine wohlwollende, aber durchaus auch Grenzen aufzeigende Instanz, die Entwicklung fördert und Konfrontation abseits der Extreme ermöglicht. Es kann durch solche positive Erfahrungen eine partielle Kompensation von früheren schlechten Beziehungserfahrungen erreicht werden. Da oft ungesunde oder wenig entwickelte Leibbezüge vorherrschend sind, ist auch die explizite Arbeit an gesunden leiblichen Praxen im Alltag von Bedeutung. Hierfür ist das konsequente Üben von Selbst-Achtsamkeit sowie der Einsatz von geübten Fertigkeiten ('Skills') hilfreich.